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AUTOR: Assoz.-Prof. Dr. Simon Sedej, PhD
Medizinische Universität Graz

Spermidin gegen Demenz

Spermidin gilt als vielversprechende, natürliche und körpereigene Substanz, um das Risiko an einer Demenz zu erkranken, zu reduzieren.
Weitere klinische Studien sind wünschenswert.

In Österreich leben nach jüngsten epidemiologischen Schätzungen rund 115.000 bis 130.000 Menschen mit irgendeiner Form der Demenz. Infolge der steigenden Lebenserwartung, Übergewicht, Diabetes und altersassoziierten kardiovaskulären Komplikationen nimmt die Zahl der Menschen mit erhöhtem Demenzrisiko und damit die Zahl der Demenzerkrankten kontinuierlich zu. Sofern kein Durchbruch in Prävention und Therapie gelingt, wird sich nach unterschiedlichen Vorausberechnungen der Bevölkerungsentwicklung die Zahl Demenzerkrankter bis zum Jahr 2050 in etwa verdoppeln.

Spermidin ist eine natürliche Substanz aus dem Aminosäurestoffwechsel, welche in allen lebenden Zellen und Organismen vorkommt und deren Konzentration in der Regel im Alter abnimmt. Die systemische Spermidinkonzentration wird durch drei Quellen gespeist: über die Nahrungszufuhr, durch das Darmmikrobiom und durch die zelluläre Biosynthese (ausgehend von der Aminosäure Arginin).

Spermidin wurde als sogenanntes Kalorienrestriktionsmimetikum beschrieben, das heißt, externe Zugabe ahmt einige Aspekte und zelluläre Prozesse des Fastens nach. Ein wichtiger zellulärer Prozess, der hier initiiert wird, ist die sogenannte Autophagie (griechisch für „sich selbst essen“), eine Art molekularer Recyclingmechanismus, der in Zeiten von Nahrungsmangel angeschaltet wird, um Energiekrisen zu überwinden. Bei der Autophagie werden zelluläre Bestandteile, die für die unmittelbare Funktion der Zelle entbehrlich sind (wie Fette, Mitochondrien, aggregierte Proteine), im Lysosom verdaut und zu wiederverwertbaren Einheiten degradiert. Dadurch werden auch zelluläre Müllhalden (wie eben aggregierte Proteine oder defekte Mitochondrien) abgebaut, die im Alter beispielsweise zu Neurodegeneration und anderen (zellulären) Fehlfunktionen führen können.

Grafik Demenz. Klinische Intervention.

Spermidingabe verzögert Herzalterung
Forschungsarbeiten konnten bereits im Jahr 2016 eine herzschützende Wirkung einer spermidinreichen Ernährung zeigen (Eisenberg et al., 2016; Cardioprotection and lifespan extension by the natural polyamine spermidine. Nature Medicine. 22(12): 1428–1438. doi: 10.1038/nm.4222). Im Tiermodell konnte gezeigt werden, dass die Spermidingabe (als Zusatz im Trinkwasser) die Herzalterung verzögert und einen Salzinduzierten Bluthochdruck vermindert. Unterstützende Daten konnten in einer epidemiologischen Kohortenstudie am Menschen beobachtet werden: Erhöhtes Spermidin in der Nahrung korrelierte direkt mit einem geringeren Risiko für Herzinsuffizienz, weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einer verminderten Häufigkeit von Todesfällen aufgrund von Herzinsuffizienz (Bruneck Studie).

Aufbauend auf diesen altersprotektiven und Autophagie-fördernden Eigenschaften von Spermidin rückte eine mögliche Neuroprotektion durch Spermidin in den Fokus der Spermidinforschung der letzten Jahre. Sigrist und Kollegen konnten in einer bahnbrechenden Publikation nachweisen (Gupta et al., 2013; Restoring polyamines protects from age-induced memory impairment in an autophagy-dependent manner.

Spermidin ist eine
natürliche Substanz aus dem
Aminosäurestoffwechsel,

die in allen lebenden
Zellen und Organismen
vorkommt.

Nature Neuroscience. 16(10): 1453–1460. doi: 10.1038/nn.3512.), dass in Fruchtfliegen ein im Alter – ähnlich wie beim Menschen – auftretender Abfall der kognitiven Leistungsfähigkeit durch eine Spermidinfütterung aufgehalten werden kann. Diese Verbesserung der Gedächtnisfunktion durch Spermidin ging einher mit einer Autophagie-vermittelten Reduktion aggregierter Proteine im Gehirn der Fliegen. Die Autophagie war notwendig für die durch Spermidin ausgelöste Verbesserung der kognitiven Funktion alter Fliegen.

Neuroinflammation verringert
Eine Reihe von weiteren Publikationen hat in der Folge diese Arbeiten in Nagetieren bestätigt, so konnten Filfan und Kollegen zeigen, dass lebenslange Fütterung von Ratten mit Spermidin die Neuroinflammation verringerte, während verschiedene Aspekte des Lernens, wie beispielsweise exploratives Verhalten verbessert wurden (Filfan et al., 2020; Long-term treatment with spermidine increases health span of middle-aged Sprague-Dawley male rats. GeroScience. doi: 10.1007/ s11357-020-00173-5). Eine weitere Studie zeigte in einer (durch genetische Gründe) schnell alternden Mauskohorte, dass Spermidingabe die Gehirnalterung sowie behavioristische Aspekte der Alterung minimieren (Xu et al.; 2020; Spermidine and spermine delay brain aging by inducing autophagy in SAMP8 mice. Aging. doi: 10.18632/aging.103035).

De Risi und Kollegen konnten zeigen, dass transgene Mäuse, die unter milder Demenz litten, durch Spermidinfütterung verbesserte Gedächtnisfunktion aufweisen sowie eine geringere Menge an proteotoxischen Aggregaten im Gehirn zeigten (De Risi et al.; 2019; Mechanisms by which autophagy regulates memory capacity in ageing. Aging Cell. n/a(n/a): e13189. doi: 10.1111/acel.13189).

Demenz Blog - Neuroinflammation verringert

Kürzlich konnten Madeo, Sigrist und Eisenberg in zwei Publikationen nachweisen, dass diätetisches Spermidin tatsächlich das Gehirn von Mäusen erreicht, mithin also die Blut-Hirn-Schranke passiert (Schroeder et al.; 2021; Dietary spermidine improves cognitive function. Cell Reports. 35(2): 108985. doi: 10.1016/j. celrep.2021.108985; Liang Y, et al., 2021; eIF5A hypusination, boosted by dietary spermidine, protects from premature brain aging and mitochondrial dysfunction. Cell Reports. 35(2): 108941. doi: 10.1016/j.celrep. 2021.108941). Auch hier zeigten die Mäuse verbesserte Gedächtnisfunktion im Alter sowie die Modifikation eines entscheidenden Protein-Translationsfaktors (EIF5A im Hippocampus der Tiere, einer Schaltstelle zwischen dem Kurz- und dem Langzeitgedächtnis). Diese biochemische Modifikation (bekannt auch als sogenannte Hypusinierung) sowie die Autophagie von Mitochondrien (Mitophagie) zeigten sich als kausal für die Verbesserung der Gedächtnisfunktion durch Spermidin in alternden Fliegen.

Das Demenz protektive
Potenzial von Spermidin
wurde kürzlich durch
eine weitere
Pilotstudie bestätigt.


Evidenz am Menschen

Zu der mittlerweile sehr soliden präklinischen Evidenz für Spermidin als neuroprotektives Molekül während des Alterns, gesellen sich immer mehr Humanstudien. In einer epidemiologischen Studie konnte Stefan Kiechl von der Medizinischen Universität Innsbruck gemeinsam mit Madeo und Eisenberg zeigen, dass es eine Korrelation zwischen der Quantität der Spermidinaufnahme mit der Ernährung und der Gedächtnisfunktion gibt. Eine von der Charité in Berlin durchgeführte randomisierte klinische Pilotstudie (preSMARTAGE Studie) zeigte auch eine Verbesserung der Gedächtnisfunktion durch Spermidin-Supplementation. Drei Monate nach Einnahme eines spermidinreichen Weizenkeimextraktes zeigten die Teilnehmer, welche unter einem selbst eingeschätzten, aber noch nicht klinisch manifestiertem Verlust der Gedächtnisfunktion litten, einen erhöhten Score im sogenannten „mnemonic discrimination test“. Hierbei handelt es sich um einen kognitiven Performance-Test, der die Fähigkeit testet, ähnliche Bilder voneinander zu diskriminieren und wiederzuerkennen (Wirth et al., 2018; The effect of spermidine on memory performance in older adults at risk for dementia: A randomized controlled trial. Cortex. 109: 181–188. doi: 10.1016/j.cortex.2018.09.014). Erhöhte Aufnahme vom Spermidin korrelierte mit einem vergrößertem Hippocampusvolumen und größerer Cortexdicke (Schwarz et al., 2020; Spermidine intake is associated with cortical thickness and hippocampal volume in older adults. NeuroImage. 221: 117132. doi: 10.1016/j.neuroimage.2020.117132). Das Demenz protektive Potenzial von Spermidin wurde kürzlich durch eine weitere drei Monate andauernde multizentrische Pilotstudie in der Steiermark/Österreich bestätigt (Pekar et al., 2021; The positive effect of spermidine in older adults suffering from dementia. Wiener Klinische Wochenschrift. 133(9): 484–491. doi: 10.1007/s00508-020-01758-y).

Aufgrund dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse gilt Spermidin als vielversprechende natürliche und körpereigene Substanz, um das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, zu reduzieren, und sollte in größeren multizentrischen klinischen Studien weiter untersucht werden.